Gestern schrieb ich, in Zusammenhang mit dem Mord an Derk Wiersum in Buitenveldert, unter Anderem über Integrität. Integer sein, was ist das eigentlich? Schaue ich im Wörterbuch (für die Jüngere LeserInnen, das ist eine Sammlung von Wörter, alphabetisch geordnet, mit hinter jedem Wort die Bedeutung) sehe ich, dass es soviel bedeutet wie Makellosiskeit, Unbescholtenheit, Unbestechlichkeit.Rein theoretisch, aus dem Humanismus betrachtet, bedeutet es soviel wie „eine große Übereinstimmung zwischen eigenen Idealen und Werte einerseits unddie gelebte Praxis andererseits. „Walk the Talk“ würden Amerikaner vermutlich sagen.

Das ist eine spannende Auffassung, denn Makellosigkeit und Unbescholtenheit kommen darin nicht vor. Unbestechlichkeit schon, und das finde ich auch als Christ sehr wichtig.

Kein Mensch kann von sich behaupten makellos zu sein. Vielleicht sehen andere Menschen seine Makel nicht, aber makellos, vergiss es. Jeder Mensch hat irgendwann in seinem leben Dinge gemacht die, vorsichtig gesagt, im Nachhinein nicht wirklich in Ordnung waren, auch wenn er dafür strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und somit als unbescholten gillt. Letzteres ist wichtig, denn nicht alles was strafrechtlich relevant ist kommt ans Tageslicht und manches wird, auch wenn es ans Tageslicht kommt, strafrechtlich nicht verfolgt.

Das mag ganz profane Gründe haben. Vielleicht besteht nach Ansicht der Strafverfolgungsbehörde kein „öffentliches Interesse“ an eine Strafverfolgung. Oder lässt sich ein Tatbestand einfach nicht beweisen. Selbst wenn jeder davon überzeugt ist, dass der Beschuldigte „es“ getan hat, ein harter Beweis fehlt und somit bleibt derjenige unbescholten, wenn vielleicht auch in der Öffentlichkeit nicht wirklich makellos.

Vielleicht traut sich eine wichtige Zeugin nicht eine Aussage zu machen, weil sie fürchtet anschließend selbst am Pranger zu stehen. Oder aber es gibt keine eindeutige Spuren die etwas belegen.

Und das ist dann vielleicht auch der Grund dass der humanistischen Philosoph in seiner Überlegung davon ausgeht, dass es mehr auf die gelebte Praxis ankommt. Was alleine schon wieder deswegen spannend ist, weil der Humanismus davon ausgeht, dass der Mensch in Grunde genommen nur Gutes tut und es der Einfluss seiner Umgebung ist, das Böse (oder Schlechte) herovr zu bringen (vereinfacht dargestellt).

Unbestechlichkeit ist aber etwas, was einfacher scheint. Dazu eine kleine Annekdote der sich, so der Erzähler, irgendwo an einem späten Abend in ein kleiner Gasthof in Bayern abgespielt haben soll.

Kurz nach der Sperrstunde betreten zwei Polizeibeamten als ein Gast die Gaststätte verlässt, eben diese Gaststätte um zu überprüfen ob der Wirt noch ausschenkt oder nicht. Es gibt noch Gäste und es entsteht die Diskussion ob noch gezapft wird oder nicht. Die Beamten sagen ja, der Wirt sagt nein. Er lässt seine Gäste nur noch ihr letztes Bier an diesem Abend austrinken, bezahlen und dann gehen. Damit die Beamten das überprüfen können lädt er sie ein an einem Tisch Platz zu nehmen und ein Kaffee zu trinken. Doch das war ein Fehler, denn nun drehen die Beamten richtig auf. Nicht nur ein vermeintlichen Verstoß gegen die Sperrstunde, sondern auch noch versuchte Beamtenbestechung. Das wir teuer, sie erstatten Strafanzeige wegen beide Vorgänge und das Verfahren landet vor Gericht.

Der Richter ist Weise. Dem Verstoß gegen die Sperrstunde wird mangels Beweisen nicht bewiesen geachtet, ein Freispruch erfolgt. Doch was ist mit der versuchte Beamtenbestechung?

Auch hier erfolgt einen Freispruch, welche der Richter wie folgt begründet haben soll: „Ich will nicht behaupten, dass Bayrische Polizeibeamten unbestechlich sind, allerdings erachte ich eine Tasse Kaffee als entschieden zu wenig um dieser Tatbestand erfüllen zu können…“

Als Betriebsrat ist man auch schnell die Gefahr ausgesetzt bestechlich zu erscheinen. Nicht immer bekommt die Belgeschaft mit, was die genaue Umstände sind die zu eine Entscheidung führen. Das kann auch nicht immer, die Beratungen des BR sind vertraulich und die Gesetzeslage ist nicht immer konform mit dem, was seitens der Belegschaft erwartet wird. Das kann man als BR aber entgegenwirken indem man möglichst eine große Transparenz herstellt. So geschehen im Frühjahr bei ein großen Bildungsträger hier in Bremen. Dort berichtet der BR in eine Mitteilung an der Belegschaft über die Existenz einer VIP-Lounge im Weserstadion. Kein Geheimnis, denn es ist im Belegnungsplan des Betriebers deutlich angegeben wer wo (s)eine VIP-Lounge hat. Der BR achtet es aber wichtig, auch die Belegschaft hierüber explizit zu informieren, nicht zuletzt weil so ein Raum nicht ganz billig ist und dieser Träger zu 100% aus öffentliche Mittel finanziert wird, welche eigentlich für Aus- und Fortbildung von Menschen mit besondere Bedürfnisse gedacht sind.

Die Geschäftsleitung ist über dieser Information, wie gesagt nichts Geheimes, „not amused“ und zieht letzten Endes vors Arbeitsgericht um dort in einem Urteil eine Vertrauensvollen Zusammenarbeit (§2, Abs. 1 BetrVG) zu erzwingen. Der Versuch schlägt fehl, das Gericht weißt die Klage in erster Instanz mit ein Dezenter Hinweis darauf, dass man nicht alles vor Gericht zerren muss, ab. Ob der Träger in Berufung geht steht noch nicht fest, das Urteil war erst gestern, aber es ist ein weises Urteil. Vertrauen kann man nicht erzwingen, das muss wachsen, von beider Seiten kommen und das Untergraben eines Betriebsrats, wie ich in diesem Fall meine zu sehen, trägt dazu nicht gerade bei. Am Ende bleibt, egal wie die Sache über die Instanzen (wenn geführt) weiter geht, nur eine immense Rechnung für den Träger, denn nach §40 BetrVG trägt der nicht nur seine eigene Anwaltskosten, sondern auch die des Betriebsrats und die Prozesskosten. Geld was eigentlich für die Klienten bestimmt war.

Dieser Betriebsrat hat, aus meiner Sicht jedenfalls, Rückgrat und Integrität gezeigt. Anders als in andere Fälle, wo es sogar strafrechtliche Folgen für Betriebsräte UND Arbeitgeber gegeben hat, waren sie nicht bestechlich. Sie sind im Interesse der Belegschaft die Auseinandersetzung nicht aus dem Weg gegangen, auch wenn das jetzt bedeutet, dass beide Seiten aktiv daran arbeiten müssen wieder eine Grundlage für eine vertrauensvollen Zusammenarbeit zu schaffen. Ich denke, das wird nicht an dem BR scheitern, waren sie doch schon (die Berichte nach jedenfalls) während der Verhandlung zu einen Vergleich bereit.

Rückgrat zeigen, unbestechlich sein, das ist eine Eigenschaft die ich bewundere, nicht nur bei einem BR, sondern auch bei diese beide Bayrische Beamten die auf ein eindeutigen Beweis für ein Verstoß gegen die Sperrstunde verzichteten und den Kaffee nicht angenommen haben. Auch wenn der Richter später meinte, einen Kaffee wäre als Bestechung zu wenig.

 

In diesem Sinne ein schönes Wochenende, ich mache mir noch einen Kaffee!

 

Olav