Eva schloss ihre Augen einen Augenblick und hoffte, dass sie beim Öffnen nicht länger auf den Tatort schauen würde. Doch ihre Hoffnung verflog in dem Augenblick, wo sie ihre Augen öffnete. Sie stand am Rande einer Lichtung, eher eine Art Wendehammer für Holzfahrzeuge, rechts lag ein großer Berg Äste und Holzresten, welche vom Waldarbeiter in den Tagen und Wochen zuvor zur Abtransport an dieser Stelle geschafft worden waren. Mehr zur Mitte stand ein großer Häcksler und links war ein Berg gehäckseltes Holz, fertig um Geladen und transportiert zu werden.

Der Berg rot und auch der Umgebung zeigte viel roter Farbe. Es lag ein typischen Geruch in der Luft und Eva wußte, dass es keine Farbe war. Fliegen waren, vermutlich durch den frühen Zeitpunkt, noch nicht zu sehen, doch lange würde es nicht mehr dauern. Blut zog immer Fliegen an, besonders dann, wenn es gemischt war mit etwas, was vermutlich einmal einen Menschen gewesen war. Der einzigen wirklichen Hinweis, dass es sich bei dem, was auf dem Häckselberg verteilt war um menschliche Überreste handelte, war eine Hand die auf dem Einzug des Häckslers lag. Nur eine Hand, mehr war von einem Menschen nicht mehr zu erkennen.

Warum auch dieser Hand nicht durch den Häcksler gegangen war, verstand Eva nicht.

Hinter sich hörte sie typische Geräusche von jemanden der sein Frühstück wieder an der Oberfläche befördert. „Hoffentlich vernichtet der keine Spuren“, schoß Eva durch den Kopf. Sie zuckte zusammen bei der Gedanke, ein schrecklicher Tatort, ein menschliche Reaktion auf dem Bild, und sie dachte an Beweissicherung.

„Wo sind die Forensiker?“, fragte sie Erik, der schweigend neben ihr stand.

„Die haben wir noch nicht angefordert,“ meinte er lapidar. „Du hast gestern gesagt, du möchtest einen Tatort unberührt sehen, deswegen habe ich dich als erstes angerufen. Die einzige Spur die wir bis jetzt eindeutig haben ist die vom Fahrer des Lasters der die Holzschnipsel abholen sollte.“

Eva schaute Erik mit eine Mischung aus Entsetzen und Verwunderung an.

„Du weißt, dass die Kripo Dir den Hals umdrehen wird, wenn sie hören, dass du gewartet hast?“

„Wieso das? Todeszeitpunkt lässt sich bei diesen Zustand nicht mehr feststellen, ebenso die Ursache. Seit wir hier sind hat kein Tier oder Mensch versucht etwas vom Tatort zu entfernen, kein Mensch hat die Fläche betreten, die halbe Stunde oder so die die später eintreffen wird die Ermittlungen nicht behindern. Oder siehst du das anders?“

Evan mußte Erik recht geben, sie kannte aber auch die Kollegen die die Ermittlungen leiten würden und war sich sicher, wenn die keinen Erfolg haben würden, würden sie das Erik vorwerfen. Und das wollte sie nicht.

„Ruf an“, sagte sie nur. „und noch etwas. Du hast es richtig gemacht, großflächig absperren. Wir sollten jetzt das Sperrgebiet verlassen und auf die Forensiker warten.“

Erik nickte und folgte sie auf dem schmalen Pfad zurück zu der Beamte der sie nach ihrem Dienstausweis gefragt hatte. Da fiel ihr ein, dass sie den in ihre Jacke gesteckt hatte und als sie ihm erreicten, zog sie ihm hervor.

„Entschuldigung, ich wollte vorher nicht unverschämt sein, war nur noch nicht ganz wach.“

Er lächelte, wenigstens einer der hier heute lächeln würde, und nickte freundlich. „Geht schon klar, wenn Erik sagt es ist in Ordnung, dann ist es das auch.“

„Trag mich aber bitte in der Doku ein, keiner sollte hier Schwierigkeiten bekommen, nur weil ich nicht ganz wach war.“

Eva saß Erik gegenüber hinten im Einsatzleitfahrzeug und schlürfte an ein Kaffee. Das Fahrzeug war erstaunlich groß und gut ausgestattet. Erik schien ihre Gedanken zu lesen.

„Kennst du dich hier in der Gegend ein Wenig aus?“

Eva nickte. „Mehr oder weniger. Ich bin nicht weit von hier aufgewachsen. Wieso fragst du?“

„Dann kennst du bestimmt der alte Lundqvist noch.“

„Ich kenne ein Sven Hägar Lundqvist, war damals hier der Bezirkssherrif. Aber das ist schon Ewigkeiten her, keine Ahnung was aus dem geworden ist.“

„Kann ich dir sagen,“ meinte Erik. „Mit der Polizeireform und der Neueinteilung der Bezirke wußte man nicht genau was mit ihm anzufangen, also ernannte man ihm kurzerhand zum Chef der örtlichen Kripo und Leiter der gesamten Inspektion. Man wollte ihm kein jüngeren vor der Nase setzen, da man ahnte, er würde kein Jüngeren als Chef akzeptieren. Er hatte nur noch wenige Jahre bis zur Pensionierung und so schob man ihm elegant auf ein Abstellgleis, wonach man bildlich gesprochen auch die Hauptstrecke stilllegte. Hier geschah nie etwas, hier konnte er kein Schaden anrichten. Dachte man jedenfalls. Seine Rache war Teuer. Basierend auf der Größe des Bezirks berechnete er, dass wir Anspruch auf die verrücktesten Sachen hatten. So haben wir modernster Technik bekommen und, wie du siehst, ein wunderbar ausgestattetes Einsatzleitfahrzeug.“

„Das hört sich ganz nach Sven Hägar an,“ meinte Eva grinsend. „Lebt der eigentlich noch?“

„Gestern Abend auf jeden Fall,“ meinte Erik. „Und in guter Gesundheit, er hat mir fast das letzte Steak vom Grill gegessen.“

„Auch das sieht ihm ähnlich. Seit ihr befreundet?“

„Er kennt mich länger als ich ihm,“ meinte Erik. „War sogar bei meiner Geburt dabei?“

„Wie das?“ meinte Eva etwas verwirrt.

„Er hat halt meine Mutter geheiratet.“

Eva saß da und schaute Erik an. „Der alte Sven Hägar ist dein Vater?“

„Nein, er hat nur meine Mutter geheiratet. Ist eine lange Geschichte und irgendwann werde ich ihm dir erzählen. Jetzt aber haben wir glaube ich Besuch.“

Draußen hörte Eva Autotüren schlagen und Stimmen kamen näher. Die Kavalerie war eingetroffen.

„Na, was für Problem haben wir…“ brüllte eine ihr nur zu vertrauter Stimme. Der stockte allerdings mitten im Satz als er Eva im Fahrzeug sitzen sah.

„Was machst du denn hier?“

„Erik, darf ich Vorstellen: Kriminaloberkommissar Bengt Bjerg, Kripo Stockholm. Bengt, Erik Lundqvist.“

„Was machst du hier? Wer hat dich gerufen?“

„Ich war mit Eva unterwegs um ihr Wildplätze zu zeigen, als die Meldung eines Verbrechens kam. Da sind wir gemeinsam gekommen. Problem?“

„Nein, ganz und gar nicht,“ meinte Bengt mit ein Ton in seiner Stimme die eindeutig anderes aussagte.

„Sehr gut,“ meinte Erik, denn auch wenn ich euch gerufen habe, ich leite die Ermittlung, nur damit das klar ist.“

„Das müssten wir dann aber mit dem Bezirksleitung klären,“ meinte Bengt, der es nicht gewohnt war so schnell und eindeutig seinen Platz zugewiesen zu bekommen. Meistens kam er und übernahm, schaffte Tatsachen und wenn irgendwann sich jemanden darüber aufregte, wurde in seinem Sinne entschieden, weil er eben schon Tatsachen geschaffen hat.“

„Das mit der Bezirksleitung ist bereits geklärt,“ meinte Erik lakonisch.

„Das will ich von dem selbst hören,“ antwortete Bengt mürrisch.

Eva wollte einschreiten, doch Eriks Blick deutete an, dass er Spaß an der Auseinandersetzung hatte. Auch wenn Eva ihm noch nicht so gut kannte, sie ahnte, dass er ein Trumpf in der Tasche hatte, welche Bengt nichts entgegen zu bringen haben würde.

„Du hast es von ihm bereits gehört,“ meinte Erik. „Ich bin der Bezirksleitung. Zugegeben, vielleicht etwas jung und zugegeben, vielleicht etwas weniger Erfahrung mit schwere Verbrechen wie du, aber, ich bin es nun einmal.“ Dabei legte er sein Dienstausweis auf dem Tisch. Eva konnte sofort erkennen, dass sie sich bei Erik erheblich verschätzt hatte. „Kriminalrat Erik Sven Hägar Lundqvist“, versehen mit sein Bild und dem Stempel des Innenministeriums. Einige Dienstgrade höher als Bengt. Das erklärte, warum der Polizist am Absperrband gemeint hat, dass Eriks Wort ihm ausreicht um sie durchzulassen.

Gleichzeitig machte sie sich ein Notiz im Kopf, sie mußte ihm warnen, denn Bengt hatte den Ruf die Spielregeln gerne zu seinem Gunsten zu ändern.

Bengt atmete schwer. „Dann zeig uns mal den Ort des Verbrechens,“ meinte er nur noch und drehte sich um.

Erik folgte ihm, mit ein Grinsen in Evas Richtung. „Sorry, ich mag es nicht den Chef herauszukehren, aber manchmal muß man von Anfang an klare Verhältnisse schaffen. Die Ermittlungen wegen eben.“

  • Fortsetzung folgt…