Es ist fast drei Monate her, dass ich mein letzten Beitrag hier geschrieben habe. Nicht dass es nichts zu schreiben gegeben hätte, aber irgendwie habe ich keinen Draht gehabt. Hinzu kommt, dass die ganze Welt sich heute um Corona dreht und vieles was eigentlich wichtig ist dabei vergessen zu werden scheint.

Inzwischen hat Willem Alexander, König der Niederlanden etc. etc., ein viel betrachtete Ansprache zum 4. Mai gehalten. Der 4. Mai ist in den Niederlanden nationalen Gedenktag für die Toten des zweiten Weltkrieges und alle Opfer von militärischen und humanen Einsätze seitdem. Für mich sprangen dabei, zwei Dinge heraus.

Erstens, mehr oder weniger als Sprungschanze zu betrachten, seine öffentliche und kritische Auseinandersetzung mit der Rolle seiner Urgroßmutter Wilhelmina während dem zweiten Weltkrieg. Er fragt sich, zurecht denke ich, warum sie nicht öfters und lauter die Verfolgung der Juden in ihre Radioansprachen angesprochen. Nur drei Mal (Nicht aus seiner Rede, sondern eigene Recherche) hat sie die Juden mehr oder weniger dafür gewarnt was sie zu erwarten hatten. Die offizielle Linie bis Dato ist, dass man in England damals nicht genau gewusst hat was sich hinter den Zäunen der Vernichtungslagern abgespielt hat, es gibt aber immer mehr Historiker die da große Fragezeichen bei setzen. So kann es den Alliierten nicht entgangen sein, dass es die Vernichtungen gab, denn wozu wurden sonst die Gefangenen in Bergen-Belsen als „Austausch“ von den Nazis bereit gehalten?

Aber darum geht es nicht, für mich wichtig ist, dass Willem Alexander als erstes Staatsoberhaupt der Niederlanden öffentlich Fragezeichen setzt bei der Rolle seiner Urgroßmutter. Dafür habe ich Respekt.

Was ich noch viel wichtiger finde ist aber ein zweiten Satz den er sprach. „Sobibor fing an mit dem Schild im Vondelpark ‚Für Juden Verboten’…“ Dieser Satz kommt ziemlich am Ende einer Gedanke über wieder aufkeimenden Antisemitismus und Rassismus und wird ergänzt mit der Aussage, dass wir „nicht normal erklären sollten was nicht normal ist!“

Es ist ein direkten Aufruf sich für ein pluralen Gesellschaft auf Basis einer Demokratie einzusetzen. Und das von jemand der, per Definition, als Staatsoberhaupt nur bedingt an demokratische Regeln gebunden zu sein scheint. Nun muss man wissen, dass Alex Geschichte studiert hat und sich, wie Mark Rutte etwa zur gleichen Zeit, in diesem Studium durchaus kritisch mit verschiedene Staatsformen beschäftigt haben wird.

Ich bin mir relativ sicher, dass beiden zu dem Erkenntnis gelangt sind, dass der Basis einer Demokratie in freie Meinungsäußerung liegt und, fast zwangsweise, in freien Zugang zu Bildung und Information. Nur wer sich (weiter)bilden darf und kann wird in der Lage sein Information zu sammeln und so ein Fundament für seine Meinung zu bilden. Ich meine dabei, wirkliche Bildung, und nicht nur das Anhören von Reden der Parteiführung und deren Demagogen.

Geert Wilders, Thierry Baudet, Marie Le Pen, Gauland und Höcke oder Trump, sie vertreten allen eigentlich eine Meinung und haben ein Problem mit fundierte andere Meinungen. Fakten gehören nicht in deren Bildungsmappe, alles was nicht ihre Vorstellungen entspricht wird abgetan als „fake“. Auf Deutsch hätte man das zwischen ’33 und ’45 vermutlich als „entartet“ bezeichnet. Nicht passend in der offizielle Parteilinie, welche sich aber je nach Laune des Parteileiters von jetzt auf gleich ändern konnte.

Nun ist die Meinungsfreiheit nicht unproblematisch, denn eine Meinung haben (dürfen) ist etwas anders als sie auch zu verkünden.Und es ist nicht immer vernünftig seine Meinung zu laut zu verkünden, denn nicht jeder der diese Meinung hört (oder liest) wird damit einverstanden sein. Das ist natürlich ein gutes demokratisches Recht, nicht nur ich, sondern auch anderen haben ein Recht auf ihre Meinung und dürfen diese verkünden. So wie ich glauben darf was ich möchte (Jesus Christus als Herr und Erlöser) und auch anderen ihr Glauben haben und verkünden dürfen.

Es wird in einer Demokratie also immer eine Spannung geben zwischen dem, was die Mitglieder dieses demokratischen Systems denken und möchten. Spannend sind Meinungen die einem gar nicht passen, kann ich die zulassen? Was wenn meine Meinung jemanden nicht passt, darf ich dann auf meiner Meinung bestehen? Habe ich noch eine Meinung oder beleidige ich jemanden wenn ich feststelle, ein Verdauungstraktendpunkt gegenüber zu stehen?

Da kommt dann ein Stück Zivilisation ins Spiel. Ich muss nicht immer alles sagen, was ich denke wobei ich schon darüber nachdenken sollte was ich sage. Auch wenn ich es darf, ist es wirklich die Sache dienlich? Wird jemand offener für einen Austausch, wenn ich ihm verteufle oder bekomme ich ein argumentativen Zugang wenn ich etwas sanfter vorgehe?

Ich erinnere mich an ein Gespräch, vor einige Jahre, auf der Leipziger Buchmesse, direkt in Anschluss an einer spontanen Demo gegen ein rechten Verlag. Ich sprach mit einer der, wie sich später herausstellte, leitende Figuren dieses Verlages und wir hatten ein interessanten Diskussion. Auch wenn ich zu keiner Zeit einverstanden war mit seiner Thesen, konnte ich nachvollziehen worauf er die aufbaute. Spannend war die Diskussion vor Allem für eine Gruppe von Menschen die um uns herum standen. Es schien als ob einigen zu ersten Mal ein Dialog zwischen zwei absoluten Gegner, geführt mit Respekt für den anderen als Person,  hörten. Obwohl ich mir sicher bin, dass er seine Meinung nicht geändert hat -genauso wie ich meine nicht änderte- bin ich sicher, dass einige seiner Anhänger ins Nachdenken kamen.

Warum ich mir da sicher bin? Nun, anschließend saß ich in einer der Fachlounges an einem Kaffee als sich ein älteren Herr zu mir setzte. Das an sich ist auf der Buchmesse nicht ungewöhnlich, doch er sprach mich auf dem Gespräch an und fragte weiter. Vielleicht, wenn auch ganz klein geschrieben, hat die Tatsache, dass ich auch ein von mir verabscheute Meinung im Rahmen der Demokratie hinnehmen kann, bei ihm etwas bewirkt.

Und so komme ich zurück zu etwas, was ich am Anfang geschrieben habe, Alex und seine Aussage zu Normalität. Ich werde mich weiterhin wehren gegen alles, was ein funktionierenden Demokratie im Wege steht, zu viele Menschen haben ihr Leben direkt oder indirekt gegeben für die Freiheiten die wir heute haben. Egal ob Sobibor oder Srebrenica, der Gulag Archipel oder My Lay, ich werde nicht nur mein Recht auf freie Meinungsäußerung sondern auch das der Anderen verteidigen.

In diesem Sinne,

 

Olav